Balerna 2018

Am Freitag, dem 5. Oktober 2018, einem Tag mit herrlich sonnigem Herbstwetter, begann das jährlich Aikido-Seminar mit Doshu Yoshigasaki in Balerna (CH, Tessin). Zwei Dutzend Aikido fanden sich um 20 Uhr auf der Mattenfläche von ca. 150 m² in der Turnhalle beim Rathaus ein. Dort findet auch das regelmässige Training der Balernitaner Aikidoka statt.

Yoshigasaki Sensei begann mit Erklärungen und Übungen zu Kenko- und Aikitaiso. Eine wichtige Frage dabei ist, ob es sich um eine Bewegung von einer Position zu einer anderen oder um eine Bewegung im Sinne von Änderung der Form handelt. Im Deutschen oder im Englischen lassen sich diese beiden Möglichkeiten verbal schlecht unterscheiden (Bewegung, movement), im Italienischen dagegen ganz klar (spostamento gegenüber movimento). Als „Bewegungstypen“ lassen sich dann die Änderung des Ortes (spostamento) und die Änderung der Form (movimento) voneinander unterscheiden. Diese theoretische Unterscheidung ist fürs Erlernen der Techniken sehr hilfreich.

Bekanntlich ist Aikido zwar aus Selbstverteidigungstechniken entstanden, dann aber von Morihei Ueshiba als Übungsprogramm in einem ethischen Kontext weiterentwickelt worden. Ein heute häufig genanntes Ziel von Aikido ist es, Konflikte friedlich zu lösen und sogar zu vermeiden, indem man versucht, friedlich miteinander auszukommen. Das lässt sich alles im Dojo, dem Ort des Weges, mit Hilfe der Aikidotechniken erlernen und üben. Nach Yoshigasaki Sensei ist so aus dem anfänglichen Aikido heute eine Kunst geworden, also etwas, was nicht mehr realistisch ist, sondern eine Abstraktion der Wirklichkeit darstellt.
Aus diesem Grund lassen sich Aikidotechniken auch nicht einfach in Selbstschutzsituationen auf der Strasse verwenden, da im Dojo Regeln gelten und die Bedingungen dort ganz anders sind. Jemanden auf der Strasse mit einem Wurf auf den Boden zu legen, ist völlig unrealistisch, weil die Person sich dabei schwer verletzen kann. Im Dojo ist dies Standard, da dort auf Matten praktiziert wird und die Beteiligten das Fallen gelernt haben. Das Werfen im Dojo dient auch nicht dazu, zu zeigen, wer gewinnt, sondern in erster Linie zur Verbesserung der Techniken.

Aikido im Dojo ist gut für Geist und Körper. Es erhält den Körper fit und flexibel und fordert die Aikidoka auch mental. Aikido ist also ideal für die Gesundheit, insbesondere weil es Übertreibungen in der körperlichen Belastbarkeit vermeidet. Für jene, die dann noch Nutzen für den Selbstschutz im wirklichen Leben ziehen wollen, unterrichtet Yoshigasaki Sensei intelligente und an die Situation angepasste einfache Bewegungen. Das war der Hauptteil des Unterrichts am Freitagabend.

Nach dem Training gab es, wie immer in den letzten Jahren, ein gemeinsames Essen im Dojo. Es wurde vom Aikidoverein Balerna gestiftet. Dieses Mal waren es schmackhafte vietnamesische Speisen, die von einer Mutter aus der Kindergruppe zubereitet wurden.

Am Samstagmorgen ging es um 9 Uhr weiter mit dem Training für Alle. Inzwischen waren noch mehr Teilnehmer angereist, vor allem aus dem nahen Italien. In den ersten beiden Stunden wiederholte und ergänzte Yoshigasaki Sensei den Stoff vom Freitag. So wurde wieder plausibel, wieso ein rechter Winkel als 90° und nicht als 100° gemessen wird und was es bedeutet, die Welt und das Leben mathematisch zu betrachten. Es wurde auch der Unterschied zwischen „wie etwas zu machen ist“ und „was zu machen ist“ besprochen.

2018 Balerna Yoshigasaki pre

Ab 11 Uhr gab es eine Stunde Unterricht für Lehrer und Instruktoren, hauptsächlich mit Techniken aus dem Programm des 2. Dan, genauer gesagt Bokkendori.

Zum Mittagessen, das vom Aikidoverein organisiert war, ging ein Teil der Teilnehmer zum Grotto del Mulino in der Breggia-Schlucht, andere versorgten sich selbst oder gingen zum preiswerten Imbiss ins Einkaufszentrum. Nach einer ausreichend langen Pause gab es wieder Unterricht für Alle. Im Wesentlichen wurden einfache Akte, d.h. fundamentale Bewegungen, geübt, um im wirklichen Leben bei körperlichen Angriffen angepasst agieren zu können. Daraus wurden dann die entsprechenden Aikidotechniken entwickelt, die u.a. dazu dienen, die Voraussetzungen in mentaler und körperlicher Hinsicht zu schaffen, um auf der Strasse bestehen zu können.

Am Abend ging es ins Ostello und Ristorante Ul Furmighin in Sagno. Ein Teil der auswärtigen Teilnehmer übernachtete auch dort. Der Ort liegt 350 m über Balerna am Hang eines Berges in 700 m Höhe und ist in einer Viertelstunde über Serpentinenstrassen erreichbar. Der Blick in die Ebene des Mendrisiotto ist fantastisch. Das Ostello bietet einige Einzel- und Doppelzimmer, mehrere Mansardenräume (Massenlager) zum preiswerten Übernachten und hat im Erdgeschoss ein ausgezeichnetes Restaurant (Slow Food). Dort nahmen wir das Abendessen ein.

Der Sonntag überraschte wieder mit herrlich sonnigem Herbstwetter. Zuerst gab es eine Stunde für Instruktoren und Dan, in der die aktuelle Form der Tsuzukiwaza Bokkendori vollständig abgeschlossen wurde. Es ging weiter mit dem Training für Alle. Es waren nochmals viele weitere Teilnehmer auf der Matte. Da die Mattenfläche grosszügig bemessen war, hatten alle genügend Platz.

Am Ende der Lektion dankten die Teilnehmer Yoshigasaki Sensei für das interessante und lehrreiche Seminar mit langem Beifall. Alle gemeinsam bauten in Windeseile die Matten ab.

2018 Balerna Yoshigasaki

Zum Abschlussessen ging es dann nochmals ins Grotto di Mulino.

David, der am Abend einen Flug von Malpensa zurück nach London gebucht hatte, wollte die seit wenigen Monaten bestehende Möglichkeit, mit der S-Bahn von Balerna nach Malpensa zu fahren, ausprobieren. Uns gelang es aber nicht, am Fahrkartenautomaten ein Ticket für den Zug zu lösen, weder in Balerna noch in Mendrisio. Also fuhren wir schliesslich doch nach Chiasso, damit er den Shuttlebus zum Airport nehmen konnte. Die Haltestelle befindet sich vor dem Bahnhof, dessen Fahrkartenschalter auch sonntags geöffnet ist. Dort fragten wir nach, wie man die Fahrkarte lösen kann. Tja, es genügt nicht, einfach Start und Ziel anzugeben. Vorher muss man auswählen, ob es eine nationale oder eine internationale Verbindung ist, dann klappt das Ganze. So hatten wir am Ende nochmal etwas dazu gelernt!

Wir freuen uns schon auf den nächsten Lehrgang in Balerna mit Maurizio Volpe und Gianni Gioconto im Februar 2019.

2018 TILO Estate