Technik ohne Ki, sagt der Meister, ist nicht Aikido
(Ein aus heutiger Sicht sehr interessantes Interview von 1965, Übersetzung B. Boll)
Black Belt Magazine, November 1965
Meister Tohei ist der Chefinstruktor des Hombu, des Japanischen Aikido Hauptquartiers und war bei der Einführung des Aikido in Hawaii und den Vereinigten Staaten beteiligt. Black Belt hat ihn kürzlich interviewt bezüglich des Aikido in den Vereinigten Staaten und dem Rest der Welt.
BB: Wie oft waren Sie in den USA?
Tohei Sensei: Ich habe fünf Reisen nach Hawaii und zwei nach Kalifornien gemacht.
BB: Waren Sie auch in anderen Ländern?
Tohei Sensei: Nein, aber das Hombu (HQ) hat fünf Instruktoren nach Europa geschickt.
BB: Planen Sie, andere Länder zu besuchen?
Tohei Sensei: Nein, ich habe zu viele Schüler in Amerika, die ich unterrichten muss.
BB: Ist Aikido gut für Kinder?
Tohei Sensei: Ja, in Hawaii unterrichtet die Aikikai Kinder ab dem Alter von 8 Jahren, sie haben derzeit 300 Kinder.
BB: Aber denken Sie nicht, das es für sie zu schwer ist, Ki zu verstehen?
Tohei Sensei: Ja, es ist schwierig, aber sie lernen es, wenn der Lehrer die Koordination von Ki mit dem Körper erklären kann.
BB: Was ist das beste Alter, um Aikido zu lernen?
Tohei Sensei: Ich denke ab etwa 8 Jahren.
BB: Denken Sie nicht, dass das zu jung ist? Ehe sie die das Ki verstanden haben, ist ihnen die Kunst schon langweilig geworden.
Tohei Sensei: Das hängt vom Unterricht ab.
BB: In welcher Hinsicht?
Tohei Sensei: Es gibt hervorragende Uni-Professoren, die keine Kinder unterrichten können, nur Erwachsene. Bei Aikidolehrern ist es genauso. Aber es ist eine wichtige Voraussetzung, dass Kinder einen sehr guten Lehrer haben.
BB: Würden Sie Frauen Aikido empfehlen?
Tohei Sensei: Ja.
BB: Und wie ist es mit älteren Leuten.
Tohei Sensei: Ja, diesen auch.
BB: Und wieso gibt es nicht mehr Frauen und Ältere, die Aikido betreiben. Am Anfang sind sie eifrig dabei und dann hören sie langsam auf, wenn sie fallen müssen.
Tohei Sensei: Weil sie nicht gerne fallen. Ein Aikidoinstruktor hat dies erkannt und hat mit speziellen Kursen für diese Zielgruppe begonnen. Seine Schüler praktizieren nur Ki-Übungen unter der Anleitung von Polizeileutnant Shinichi Suzuki in Maui, Hawaii. Seine Schüler können genauso gut Ki fliessen lassen, wie andere Schüler, die die komplette Kunst erlernen.
BB: Denken Sie, dass das Hauptprinzip im Aikido das Ki ist?
Tohei Sensei: Ja.
BB: In wie vielen Ländern gibt es heutzutage Aikido Dojos?
Tohei Sensei: Vor fünf Jahren wurde Aikido in 18 Ländern unterrichtet, ich weiss nicht genau wie viele es heute sind, wohl 30 oder 40.
BB: Wie viele Personen machen heutzutage im Aikido mit?
Tohei Sensei: Ich würde sagen, so etwa 100.000.
BB: Wie viele in Japan und wie viele in Hawaii?
Tohei Sensei: Etwa 70 bis 80 Tausend in Japan und ca. 1.500 in Hawaii.
BB: Sind japanische oder amerikanische Anfänger leichter zu unterrichten?
Tohei Sensei: Die japanischen akzeptieren es wohl eher.
BB: Mit anderen Worten, die Amerikaner sind eher skeptisch?
Tohei Sensei: Ja, die Japaner sind zwar auch skeptisch aber leichter zu überzeugen.
BB: Viele Leser wollen den Unterschied erfahren, wenn es ihn gibt, zwischen den verschiedenen Aikidogruppen wie Hombu, Yoshinkai, Goshin und anderen. Gibt es Unterschiede?
Tohei Sensei: Die Techniken sehen gleich aus, aber nur Hombu wendet Ki an. Ohne Ki, meine ich, ist es kein Aikido. Wenn Sie körperliche Kraft anwenden um die Techniken auszuführen, sind Ihre Bewegungen nicht natürlich.
BB: Gibt es viele Polizeieinheiten, die Aikido anwenden?
Tohei Sensei: Ja, die Polizei in Hawaii wendet Aikido seit vielen Jahren an, das gilt auch für die japanische Polizei.
BB: Wie ist es bei der japanischen Armee und der japanischen Marine?
Tohei Sensei: Jede Kaserne in Japan hat eine Aikidoorganisation.
BB: Ich stelle fest, dass Sie viele Demonstrationen vor der Polizei gemacht haben, in New York, San Franciso, Los Angeles und anderen grossen Städten. Wie war die Reaktion?
Tohei Sensei: Sie waren für Aikido sehr empfänglich, aber das Problem in New York war, wie man 27.000 Polizisten schulen kann. Ich blieb nur kurze Zeit in der Stadt. Die einzige Möglichkeit, 27.000 Polizisten zu schulen, ist ein Intruktor in jedem Department.
BB: Vor Kurzem entdeckten wir ein Taschenbuch mit dem Titel "Die Power des Aikido" von Claude St. Denise für 95 Cent. Ein Kommentar zu diesem Buch?
Tohei Sensei: Ich kenne dieses Buch und glaube offen, dass der Autor die Prinzipien des Aikido nicht kennt, wegen solcher Aussagen wie: "Wirksamer als Karate und Judo ..." Das steht im Gegensatz zur Lehre des Aikido. Der Berg lacht nicht über den Fluss, weil er weit unten ist, und der Fluss lacht nicht über den Berg, weil er sich nicht bewegen kann. Jede Kunst hat ihre Vorzüge und ihre eigene Philosophie und wir sollten nie eine der anderen Künste kritisieren. Ein Buch wie dieses gibt nur einen falschen Eindruck von Aikido ab und bremst seine Verbreitung. Ich persönlich kenne den Autor Claude St. Denise nicht.
BB: Wenn eine Polizeiabteilung eine Aikidodemonstration sehen will, was kostet das?
Tohei Sensei: Nichts, ich mache das jederzeit umsonst.
BB: Denken Sie, dass sich Aikido im täglichen Leben anwenden lässt?
Tohei Sensei: Sicher. Das wichtigste Konzept von Aikido ist, es im täglichen Leben anzuwenden. Aikido lehrt Sie zu entspannen, und das allein ist schon von Vorteil. Ich habe vor kurzem ein Buch geschrieben "Anwendung der Aikido Prinzipien im täglichen Leben".
BB: Ist das Buch in Japanisch oder in Englisch geschrieben?
Tohei Sensei: In Japanisch, aber demnächst wird eine englische Übersetzung erscheinen.
BB: Können Sie uns etwas über den Inhalt des Buches sagen?
Tohei Sensei: Das Buch erklärt die Feinheiten des Ki. Das erste Buch vermittelt den Lesern, wie sie Ki verstehen können, wie sie es entwickeln und im täglichen Leben anwenden können, beim Schlaf, im Wachzustand, beim Essen, Gehen und Denken.
BB: Konzentrieren Sie sich im Augenblick oder halten Sie den einen Punkt 24 Stunden am Tag, oder sind Sie wie die meisten Leuten in den USA und machen das bloss im Dojo?
Tohei Sensei: Ich halte meinen Einen Punkt definitiv immer. Wenn Sie es nur im Dojo machen, können Sie ihr Ki nicht entwickeln, da das Training im Dojo viel zu kurz ist. Nur eine Stunde oder zwei am Tag ist zu wenig. Sie müssen es tun, bis es ein Teil von Ihnen wird und Sie es ganz natürlich machen - unbewusst, wie Atmen. Viele Anfänger verstehen es nicht richtig und konzentrieren sich auf den Einen Punkt (ein Punkt ca. 5 cm unter dem Nabel) meist auf körperliche Art. Sie schauen auf ihre vergrösserten Bäuche und denken, sie machen es richtig. Sie verstehen nicht, wie sie sich konzentrieren müssen, nicht intensiv, sondern auf ruhige Art.
BB: Wieso kommt es, dass das es so wenig Dojos gibt, obwohl die Nachfrage nach Aikido Instruktoren in den USA stark gestiegen ist?
Tohei Sensei: Weil es nicht genügend Instruktoren gibt. Wenn Aikido nur eine körperliche Kunst wäre, könnten Sie leicht Instruktoren ausbilden. Aber weil Aikido das Ki betont, dauert die Ausbildung länger. Solange ein Instruktor die Kunst körperlich und mental nicht beherrscht, kann er keine gute Arbeit leisten. Das wäre wie wenn ein Blinder andere Blinde führte.
BB: Ist es möglich Aikido aus einem Buch zu lernen, für jene, die keinen Dojo in der Nähe haben?
Tohei Sensei: Es ist schwierig die Aikidobewegung aus einem Buch zu verstehen, aber Sie könnten die mentalen Aspekte des Aikido aus einem Buch lernen und anwenden. Sie müssen das Buch allerdings vier oder fünf Mal gründlich lesen, ehe Sie es wirklich verstehen. Dann müssen Sie die Bewegungen üben und versuchen, dem zu folgen, was Sie gelesen haben.
BB: In anderen Worten, Sie empfehlen es, aus einem Buch zu lernen, wenn es in der Nähe keinen Dojo gibt?
Tohei Sensei: Ja, wenn kein Dojo verfügbar ist. Aber wenn es einen gibt, sollten Sie einen guten Dojo besuchen, um die Feinheiten der Kunst zu lernen, die Sie im Buch nicht finden konnten.
BB: Wenn ich also Ihr Buch lese und eine der Techniken oder Übungen missverstehe und sie weiter falsch übe, wird das nicht meine spätere Entwicklung behindern, wenn ich in ein Dojo eintrete?
Tohei Sensei: Nein. Als ich vor einigen Monaten in Chicago war, kamen vier Leute aus Ohio, um bei mir zu lernen, und ich war überrascht, weil sie die Techniken ganz gut kannten. Als ich nachfragte, wer sie unterricht habe, sagten sie, dass sie aus meinem Buch gelernt hätten. Einer las jeweils vor, und die Anderen übten die Techniken. Sie wiesen keine groben Fehler in ihren Techniken auf. Ich freue mich, wenn mein Buch Leuten helfen kann, in Gegenden wo kein Dojo erreichbar ist.
BB: Empfehlen Sie spezielle Techniken für Schüler außerhalb des Dojo?
Tohei Sensei: Ja, ein Schüler sollte üben, was er im Dojo gelernt hat. Das führt zu einer wesentlich rascheren Entwicklung seiner Technik.
BB: Könnten Sie sagen, wie ein Schüler sich des Einen Punkts bewusster sein kann, so dass er das Ki schneller entwickeln kann?
Tohei Sensei: Ich sage im Dojo immer, dass Sie den Einen Punkt immer anwenden müssen und ständig anwenden, bis er zu einer Gewohnheit wird. Ich sage den Schülern auch, dass Sie andere unterrichten sollen, um es zu verstehen.
BB: Denken Sie nicht, dass es gefährlich ist, sich beim Autofahren auf den Einen Punkt zu konzentrieren?
Tohei Sensei: Zu viele Leute missverstehen das, sich auf den Einen Punkt zu konzentrieren und auf sonst nichts. Das ist ein falsches Verständnis. Konzentration auf den Einen Punkt bedeutet, den Geist ruhig zu halten und nachdem man dieses Gefühl erreicht hat, es so zu beizubehalten. Dann können sie Auto fahren oder sonst irgendetwas, auf eine viel sicherere Weise und mit besserem Urteilsvermögen.
BB: Werden Sie nach dieser Reise wieder in die USA zurückkommen?
Tohei Sensei: Ja, ich will versuchen 1966 oder 1967 wieder zu kommen.
BB: Sind Sie mit der zunehmenden Verbreitung des Aikido in den USA zurfrieden?
Tohei Sensei: Tatsächlich bin ich baff erstaunt vom Wachstum des Aikido in den USA. Ich hätte nie gedacht, dass es so schnell wachsen würde, in den vergangenen vier Jahren.
Original in English: